Die Töne waren nich nur Klänge, sie waren Bewegung
Tom war müde. Nicht die Art von Müdigkeit, die sich mit einer Nacht gutem Schlaf beheben lässt, sondern die tiefe, zähe Erschöpfung, die sich langsam im Körper festsetzt. Schon morgens, wenn der Wecker klingelte, spürte er die Schwere in seinen Gliedern. Tagsüber hetzte er durch Meetings, tippte E-Mails mit verkrampften Schultern und hörte nur mit halbem Ohr zu, während sein Kopf bereits beim nächsten Punkt auf der To-do-Liste war.
Nach Feierabend warteten die Verpflichtungen des Alltags: Einkaufen, Rechnungen, soziale Kontakte pflegen, obwohl er sich eigentlich nur verkriechen wollte. Und dann dieses ewige Gedankenkarussell–als würde sein Hirn sich weigern, in den Ruhemodus zu schalten.
"Vielleicht solltest du mal was anderes probieren", hatte seine Schwester gesagt und ihm einen Gutschein für eine Klangmassage in die Hand gedrückt. Tom hatte nur gelacht. Bei ihm? Was sollte er als Business-Mann mit Klangschalen und tiefer Entspannung? Ach, seine Schwester und ihr esoterisches Zeug…manchmal nervt das…aber andererseits ist seine Schwester immer gut drauf, zuversichtlich und lebt ihr Leben mit einer beneidenswerten Lebensfreude…vielleicht liegt das ja an diesen alternativen Dingen?
Irgendwie ließ ihn das nicht mehr los und er dachte immer wieder an diesen Gutschein. An einem Tag, als ihm selbst der Kaffee nicht mehr half und sein Rücken sich anfühlte, als hätte jemand einen Sack Zement darauf abgeladen, beschloss er, es einfach zu tun. Schlimmer konnte es ja nicht werden. Und er musste es ja auch niemandem erzählen…also wenn es nichts nutzt, wird es keiner mitbekommen.
Die Praxis war ein kleiner, heller Raum mit warmem Licht und dem sanften Duft von Orange. "Lass Dich einfach darauf ein", sagte Carolina mit ruhiger Stimme, während sie ihm eine Decke reichte. Tom legte sich auf die Liege und versuchte, nicht daran zu denken, wie absurd sich das anfühlen würde. Doch als die erste Klangschale auf seinem Rücken sanft zum Schwingen gebracht wurde, spürte er eine Vibration, die tiefer ging als erwartet.
Die Töne waren nicht nur Klänge–sie waren Bewegung. Sie wanderten durch seinen Körper, erreichten Stellen, die schon so lange verspannt waren, dass er sie kaum noch wahrnahm. Mit jedem Anschlag der Schalen wurde etwas gelöst, als würden die sanften Schwingungen den angestauten Stress nach und nach aus ihm herausziehen. Und dann geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte: Seine Gedanken wurden leiser. Zum ersten Mal seit Wochen spürte er keine Anspannung mehr in seinem Kiefer, kein ständiges inneres Rasen. Da war einfach nur ein tiefes, angenehmes Nichts.
Er wusste nicht genau, wie lange er so dalag–nur, dass es sich anders fühlte, als die Sitzung zu Ende war. Sein Körper war nicht mehr dieser harte Knoten aus Stress, sondern weich, durchströmt von einer tiefen, ungewohnten Ruhe. Als er aufstand, fühlte sich sein Atem freier an, sein Kopf klarer. Selbst die Straßengeräusche draußen wirkten weniger schrill, weniger bedrohlich hektisch. Die Welt war dieselbe, aber irgendetwas in ihm hatte sich verändert. Vielleicht war es das erste Mal seit Langem, dass er sich nicht nur irgendwie funktionierend, sondern tatsächlich lebendig fühlte. Mal sehen, was da noch alles kommt.